6.2.2024
Haben Sie schon mal etwas von der Darm-Hirn-Achse gehört? Unser Bauch – und vor allem der Darm – spiegelt tatsächlich unsere Emotionen wider, ist bei der Abwägung unterschiedlicher Optionen beteiligt und reagiert auf Reize. Das merken wir zum Beispiel, wenn wir „aus dem Bauch heraus“ entscheiden oder uns beim Gedanken an etwas plötzlich der Appetit vergeht. Welche Verbindung besteht zwischen Darm und Gehirn und warum wird der Darm oft auch das zweite Gehirn genannt? All das erfahren Sie hier.
Kapitelübersicht
Als Darm-Hirn-Achse bezeichnet man die Verbindung von Darm und Gehirn, die über unterschiedliche Wege, vor allem aber über den Vagusnerv, besteht. Auf dieser „Schnellstraße“, die die beiden Organe neuronal vernetzt, kommunizieren Darm und Hirn mithilfe verschiedener Botenstoffe. Doch auch die Darmflora und in ihr angesiedelte Mikroben sind in die Kommunikation mit eingebunden. Aktuell sind Wissenschaftler aus den Bereichen Gastroenterologie, Biologie und Chemie noch dabei, die Darm-Hirn-Achse näher zu untersuchen, um genauer sagen zu können, wie beide Organe miteinander interagieren. Besonders interessant ist, dass offenbar die meisten Informationen vom Darm an das Gehirn gegeben werden und nicht umgekehrt – etwa 90 % der Signale sendet das „Bauchhirn“ über die Darm-Hirn-Achse nach oben.
Der Darm besitzt neben der Darmflora auch ein aus mehreren 100 Millionen Nervenzellen bestehendes, vollkommen autonomes Nervensystem – das sogenannte enterische Nervensystem (ENS). Da das ENS den Großteil unserer Verdauung selbstständig steuert, wird es häufig als „Bauchhirn“ oder „Darmhirn“ bezeichnet. Zudem bricht die Darm-Gehirn-Verbindung während des gesamten Lebens niemals ab. Prozesse im Darm beeinflussen unsere Emotionen, Gedanken und teilweise auch unsere kognitive Leistung. Dies geschieht durch die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe, die maßgeblich unsere Stimmung beeinträchtigen können. Somit kann der Darm uns glücklich oder traurig, aktiv oder lustlos werden lassen und unsere Gefühle wie ein zweites Gehirn steuern.
Der Darm besteht aus Millionen kleinster Mikroorganismen, den Darmbakterien, die gemeinsam das Mikrobiom bilden. Diese Darmbakterien regen die Darmschleimhaut zur Produktion von Hormonen und Neurotransmittern wie zum Beispiel Serotonin an, welches erstaunlicherweise zu einem wesentlichen Teil im Darm produziert wird. Serotonin und andere Signalstoffe werden dann über die Darm-Hirn-Achse an das zentrale Nervensystem (ZNS) weitergegeben. [1] Dieses besteht aus dem Gehirn und dem Rückenmark. Aber wie funktioniert der Austausch über die Darm-Hirn-Achse genau?
Der Vagusnerv läuft vom Gehirn bis in den Darm und stellt so eine direkte neuronale Verbindung zwischen den beiden her.
Diese Frage ist bis heute nicht abschließend beantwortet, allerdings arbeiten viele Forschungsgruppen an der Entschlüsselung der Kommunikation zwischen enterischem und zentralem Nervensystem. Dass der Darm über den Vagusnerv mit dem Gehirn verbunden ist, gilt als sicher, da sich dieser als der zehnte von 12 großen Hirnnerven bis zum Darm erstreckt. Daher nimmt man an, dass sich hier die Darm-Hirn-Achse befindet, auf der die beiden – erstaunlich ähnlich funktionierenden – Organe kommunizieren. Damit sie sich verständigen können, senden Darm und Gehirn Signale mithilfe derjenigen Neurotransmitter, die beide Organe kennen und verarbeiten können. Darunter fallen zum Beispiel die „Glückshormone“ Serotonin und Dopamin sowie der Botenstoff GABA (Gamma-Aminobuttersäure), der eine beruhigende Wirkung auf die Nerven hat.
Fit im Darm, fit im Kopf – hinter diesem Satz steckt viel Wahrheit. Dadurch, dass der Darm in der Lage ist, über die Darm-Hirn-Achse unser Gemüt zu beeinflussen, ist er nicht nur an der körperlichen Gesundheit beteiligt. Dass ein gesunder Darm wichtig ist, um die Verdauung zu regulieren und Beschwerden wie Verstopfung oder Verdauungsschmerzen zu vermeiden, ist allgemein bekannt. Doch auch zur psychischen Gesundheit kann der Darm durch das Senden von Botenstoffen über die Darm-Hirn-Achse beitragen. Tatsächlich ist die Gesundheit und Funktion der Darmflora für die Hirngesundheit wichtig, denn sie beheimatet ca. 70 % unserer Immunzellen. Einige dieser Immunzellen sind für die Kommunikation von Darm und Gehirn notwendig. Ist das Immunsystem geschwächt, kann also auch die kognitive und Gedächtnisleistung darunter leiden. Dies fand eine Forschergruppe des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin heraus. [2] Lesen Sie hier mehr über die gemeinschaftliche Arbeit von Darmflora und Immunsystem.
Dieselbe Studie untersuchte die Auswirkung von Antibiotika auf die Übertragung von Hormonen, Neurotransmittern und Nervenimpulsen zwischen Hirn und Darm. Hier wird der Zusammenhang von Darm, Gehirn und Gesundheit besonders deutlich:
Die Gabe von Antibiotika, welche bekanntermaßen die Darmflora schädigen, verursachte bei Mäusen eine Verlangsamung der Neurogenese (Bildung von Nervenzellen im Gehirn) und Einschränkung der kognitiven Fähigkeiten. Die Forscher beobachteten zudem, dass eine bestimmte Untergruppe der weißen Blutkörperchen, welche für die Immunabwehr essenziell sind, durch die Antibiotika im Darm stark dezimiert wurde. Durch viel Bewegung oder die Fütterung von Probiotika konnte dieser Effekt jedoch umgekehrt werden. [2]
Auch die Wirkung von Antidepressiva wird erst durch die Darm-Hirn-Achse ermöglicht: Da die Blut-Hirn-Schranke verhindert, dass bestimmte Stoffe von der Blutbahn ins Gehirn gelangen (und umgekehrt), müssen Antidepressiva oral eingenommen werden. Bei der Einnahme gelangen die Wirkstoffe in den Magen-Darm-Trakt, wo sie aktivierend oder hemmend auf bestimmte Neurotransmitter wie Serotonin oder GABA wirken. Die veränderte chemische Zusammensetzung der Botenstoffe im Darm wird dann über die Darm-Hirn-Achse an das Gehirn weitergeleitet. [3]